Es war einmal ein kleiner Pappbecher
Text von Henriette Rilling
Der Coffee-to-go-Becher ist aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Für viele ist er als Behälter des Morgenkaffees tägliche Routine und fast jeder hatte schon einen der Becher in seiner Hand. Fast automatisch stellen wir die Verbindung zu Kaffee her. Um zu verstehen, warum der coffee-to-go-Bechers heute diese Form und Beschaffenheit hat, müssen wir uns zunächst einmal mit der Geschichte des Einwegpappbechers beschäftigen.
Dessen Erfinder hätten vermutlich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen gedacht, dass ihr Produkt einmal so sehr mit Kaffeekonsum verknüpft sein würde. Bei der Erfindung hatten sie nämlich ein ganz anderes Getränk im Blick, das Wasser!
1907 hatte eine Gruppe von Investoren in den USA die Idee eine Firma für Wasserspender zu gründen. Aus diesen Wasserspendern sollte man für wenige Cents gekühltes Wasser in einem neuen, frischen und sauberen Trinkgefäß erhalten. Dabei stellten sich die Investoren als Gefäße flache Becher vor, die der Käufer zunächst auffalten sollte um dann Wasser einfüllen zu können.
Als Henry Luellen von der Idee erfuhr, war er vom Konzept des Wasserspenders überzeugt. So etwas hatte es zuvor noch nicht gegeben. Jedoch war er der Meinung, dass für den Erfolg der Maschine ein anderer Becher nötig wäre. Statt diesen jedes mal falten zu müssen, fand er, dass es praktischer und einfacher wäre, gleich den fertigen, offenen Becher zu erhalten. So kam es, dass Luellen den ersten Prototyp des Pappbechers entwickelte.
Sein erster Entwurf war ein einteiliger Becher aus Pappe, der aus einem kreisförmigen Stück Papier gefaltet wurde. Paraffine hielten den Becher zusammen, der mehr an eine Trinktüte erinnerte. Diesen entwickelte er weiter und designte schließlich den aus zwei Teilen (konische Röhre mit separatem Bodenteil) bestehenden Pappbecher, wie wir ihn auch heute noch kennen.
Mit seiner neugegründeten Firma American Water Supply Company of New England begann im April 1908 schließlich die Produktion und der Verkauf von Luellen Cup & Water Vendor Wasserspendern. Luellen hielt dabei zunächst am einteiligen Becher fest und verbesserte diesen weiter. Man entschied sich aber schließlich aufgrund der geringeren Herstellungskosten dafür nur noch den Becher aus zwei Teilen zu produzieren.
Die ersten Wasserspender wurden an öffentlichen Plätzen aufgestellt. Für einen Penny konnte man sich einen Becher aus einer Röhre ziehen und mit Wasser befüllen. Doch zunächst lief der Verkauf nur schleppend. Die Leute waren es gewohnt unterwegs Wasser kostenlos aus öffentlichen „Wasserbrunnen“, die auch in Schulen und Krankenhäusern installiert waren, zu trinken. An diesen gab es eine Gemeinschaftstasse, die von allen genutzt wurde. Die Tasse und das Wasser gab es umsonst, warum also sollte Geld für einen Einwegpappbecher ausgeben werden?
Doch die Pappbecherhersteller hatten Glück, denn wie es der Zufall so wollte, fanden gleichzeitig erstmals größere Forschungen zu Bakterien und Keimen und der Krankheitsübertragung durch diese statt. Dabei nahm der Biologieprofessor Alan Davison am Lafayette-College Gemeinschaftstassen an Schulen unter die Lupe. Seine Studie „Death in School Drinking Cups“, in welcher er den Tod vieler Schulkinder auf Übertragung von Grippebakterien durch die Gemeinschaftstassen zurückführte, verhalf den Einwegpappbechern zum Durchbruch.
Gemeinsam mit seinem Partner Hugh Moore vermarktete Luellen die Einwegpappbecher fortan als hygienische und sichere Alternative zu Gemeinschaftstassen. Schließlich verbaten mehr und mehr Bundesstaaten die Benutzung von Gemeinschaftsbechern. Als Ersatz installierte man in den Krankenhäusern, Schulen und Eisenbahnen stattdessen Wasserspender mit Pappbechern.
Der Einwegpappbecher wurde zum Alltagsgegenstand.
Um jedoch zu den Pappbechern zu kommen, die wir heute besitzen, mussten noch einige Entwicklungen gemacht werden. Zunächst erfand Sydney R. Koons 1933 einen ansetzbaren Henkel, sodass nun auch Heißgetränke getrunken werden konnten. Walter W. Cecil erweiterte das Konzept drei Jahre später und lies sich einen Pappbecher mit bereits angebrachten Griff patentieren. Immer öfters begann man Kaffee aus den Einwegbechern zu trinken, sodass es erste Versuche zu Deckeln für die Becher gab. Auch begann man mit den Materialien zu experimentieren.
In den 60igern setzte sich schließlich Styropor als Bechermaterial gegen Pappe durch. Für die nächsten zwanzig Jahre wurden Einwegbecher fast nur noch aus Styropor hergestellt. 1964 begann 7-Eleven als erste Fastfoodkette Coffee-to-go in Einwegbechern zu verkaufen und startete so mit anderen Firmen die Verbreitung des Coffee-to-gos. Da der Kaffee nun auch über längere Distanzen transportiert wurden, begann man zudem mit der Produktion von Deckeln für die Einwegbecher. Die ersten Modelle, wie der 1967 von Alan Frank erfundene Deckel, hatten dabei noch keine Trinköffnungen. Stattdessen war der Deckel eine flache Kappe, die der Konsument über den Becher stülpte und zum Trinken mit Hilfe einer Lasche anhob und gleichzeitig zerriss. Dieser wurde weiterentwickelt zunächst zu einem Auf- und Abziehbaren Deckel und bekam schließlich Mitte der 80iger auch die typische Schnabelöffnung.
Umweltbewegungen und das Bewusstwerden des Klimawandels bedingten Ende der 80iger die Abwendung vom Styroporbecher und zugleich ein Comeback des Bechers aus Pappe, ungeachtet der Tatsache, dass auch dessen Benutzung und Produktion eine Umweltbelastung darstellten. Coffee-to-go wurde immer beliebter und die Einwegpappbecher stetig verbessert und auf den Konsum von Kaffee bzw. Heißgetränken angepasst.
Kaufen wir heute einen Coffee-to-go-Becher halten wir ein hochentwickeltes Produkt in unseren Händen. Als neueste Entwicklung versuchen Unternehmen nun mit Bechern aus Recyclingpapier oder Biokunststoffen das Produkt nachhaltiger zu gestalten. Beim Einkauf von to-go-Bechern hat man die Wahl zwischen doppelwandigen, besonders leichten, großen, kleinen, beschichteten, individuell bedruckten Pappbechern, quasi jeder Wunsch des Konsumenten kann erfüllt werden. Ob Henry Luellen wohl je gedacht hatte, dass sein einfacher Pappbecher für Wasser es einmal so weit bringen würde?