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Das Stofftaschentuch als multifunktionales Accessoire:

Vielseitig verwendet, nur nicht zum schnäuzen?

 

Text von Wiebke Clausen

 

Bis ins 18. Jahrhundert war es in allen Gesellschaftsschichten üblich, zwischen den Fingern in die Luft zu Schnäuzen. Doch Stofftücher gab es da bereits viele Jahrhunderte. Wozu wurden diese genutzt, wenn nicht zum Putzen der Nase?

 

  • Zum Schutz

 

Erstmals erwähnt wurden Stofftücher zum Abwischen des Schweißes, sowie zum Verhüllen des

Gesichtes als Schutz gegen Witterungseinflüsse und ansteckende Krankheiten von dem römischen Dichter Catullus im 1.Jahrhundert vor Christus.

Diese waren Luxusartikel aus feinem ägyptischen Leinen (dem Byssos) und somit den Reichen vorbehalten und hießen Sudarium (Lat. sudor: Schweiß).  Man steckte sich das Tuch unterhalb der Brust in eine Gewandfalte.

 

  • In der Religion

 

Die ersten Christen nutzten im 2. Jahrhundert n. Chr. ein Tuch zum Beten, das Orarium (Lat. orare: beten), denn sie sprachen ihm magische Heilkräfte zu. Außerdem legte der Priester dem Täufling zu dessen Schutz gegen Böses ein Tuch auf den Kopf. In der Malerei des Mittelalters ist das Orarium meist heiligen Personen beigegeben.

 

  • Bei Tisch

 

In spätrömischer Zeit kam ein weiteres Tuch, die Mappa, auf, die hauptsächlich als Serviette fungierte, da man mit den Fingern aß.  Da es Sitte war, einem Gastgeber kleine Geschenke mitzubringen, und umgekehrt nach dem Mahl übrig gebliebene Speisen mit nach Hause zu nehmen, erfüllte die Mappa auch den Zweck eines Transporttuches.

 

  • Als Kommunikationszeichen

 

Der römische Kaiser Nero soll in der Arena nach seinem Mahl dem Volk mit seiner Mappa das Zeichen zum Spielbeginn gegeben haben. Das Stofftuch begann zur Kommunikation und Verständigung genutzt zu werden. So zeigte das Volk bei Gladiatorenkämpfen seine Entscheidung über eine Begnadigung des Besiegten durch Winken mit Tüchern.

Kaiser Aurelian etablierte, dass im Theater durch Schwenken von Tüchern Lieblingsschauspieler und bedeutende Persönlichkeiten begrüßt wurden. Und noch heute ist es üblich, allerdings häufiger zum Zeichen des Abschieds, als des Willkommens, ein weißes Taschentuch zu Schwenken.

 

  • Als Liebesbeweis

 

Seit dem 11. Jahrhundert spielte das Tuch im Minnedienst eine große Rolle, wie später das Hochzeitstaschentuch.

Wenn eine Dame ein Stofftuch auf den Boden fallen ließ und ein Mann sich danach bückte, es aufhob und ihr zurückgab, bekundete er ihr damit seine Zuneigung und ggf. ein Heiratsangebot.

Für einen ritterlichen Liebhaber einer verheirateten Frau konnte eines ihrer Tücher in seinen Händen zum Tode führen.

Ein besonderes Zeichen der Treue und Tapferkeit war es, wenn ein Ritter das Tuch seiner Angebeteten mit in den Kampf nahm, und es ihr  mit Schweiß und Blut durchtränkt wieder zurück brachte.

 

  • Als modisches Schmucktuch

 

Im 15. Jahrhundert kamen die Fazoletti (Ziertücher) auf. Diese Tüchlein wurden elegant in der Hand gehalten und bestanden aus Seide oder feinem Leinen und waren mit Stickereien verziert, teilweise mit geknüpften Fransen umsäumt. Ein Jahrhundert später begann man die Tücher noch aufwändiger mit Spitzenschmuck, Nadel- und Köppelspitzen und Goldstickereien zu versehen. Es gab Musterbücher, mit Hilfe derer sich die Damen in der Kunst des Verzierens üben konnten.

Die wertvollsten Ziertücher wurden in Venedig hergestellt und exportiert.

Für den europäischen Hochadel war das in der Hand gehaltene Ziertuch ein begehrtes Modebeiwerk, das auf einem Portrait nicht fehlen durfte. Die kostbaren Ziertücher mit Fransen aus venezianischem Gold, aus roter und weißer Seide signalisierten nicht nur Reichtum, sondern bei den Damen auch Charme und Lebensfreude und sogar Koketterie im Kontrast zu ihrer sonst starren Kleidung.

In Deutschland hieß der Luxusartikel der höheren Stände Fazinetel, Fazilettlein und umgangssprachlich auch Schnüffeltuch, da man dieses mit gut duftenden Essenzen durchtränkte und daran schnüffelte um schlechte Gerüche neutralisieren, was angesichts der damaligen Körperpflegesituation, bestimmt recht angenehm war. 

 

  • Als Erinnerung

 

Im 17. Jahrhundert nähten Verliebte meist einen verzierten Posamentenknopf an die Ecke eines Stofftuchs, zur Erinnerung an die Verehrerin oder den Verehrer.

Daraus entstand die Sitte sich einen Knoten (ehemals der Knopf) in sein Taschentuch zu machen, um etwas Wichtiges nicht zu vergessen. Üblich war es auch, das Taschentuch mit einem gestickten Monogramm oder den Initialen zu kennzeichnen, was später praktisch war, da man es nach dem Waschen so wieder seinem Besitzer zuordnen konnte.

 

  • Als Schnupftuch

 

Durch die Verbreitung des Schnupfens von Tabak verlor das Ziertuch seinen Charakter als Luxusartikel und wurde so bei den Männern der Oberschicht zum Gebrauchsgegenstand. Es wurde in die Gewandtasche des Rockes gesteckt. (Der Begriff Taschentuch wurde dennoch erst zu Beginn des19.Jahrhunderts verwendet.)

Da zunächst die Oberschicht das Schnupftuch benutzte, wurde es während der Französischen Revolution für die Revolutionäre zum Erkennungszeichen von Aristokraten.

 

  • Als Werbe- und  Propagandamittel

 

Ende des 18. Jahrhunderts wurde es mit der Erfindung des elektrischen Webstuhls immer einfacher und günstiger Stoff herzustellen. Stofftaschentücher waren damals oft großformatig (60x50 cm). Großer Beliebtheit erfreuten sich die bedruckten Exemplare. Tücher mit Reden, Kalendern, religiöse Themen, Portraits, Karikaturen und Partituren wurden ein preisgünstiges Geschenk und Souvenir, sowie ein gutes politisches Werbemittel. 1870 verteilte man im Deutsch-Französischen Krieg Taschentücher mit Landkarten des Feindlandes und Abbildungen des Gebrauchs der Gewehre. 

 

Das Stofftaschentuch ist im Laufe seiner Geschichte also vielseitig und multifunktional verwendet worden, bis es im 19. Jahrhundert im gesamten Volk zu seiner letztendlichen Aufgabe kam: Die Befreiung der Nase von Ausscheidungen. Einige, der mit der Zeit aus den abwechslungsreichen Verwendungen entstandenen Gewohnheiten, wie das Abschieds-Winken mit einem Taschentuch, bestehen bis heute.

 

 

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